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Archiv-Artikel

Borussen haben Heimweh

Borussia Mönchengladbach gewinnt auch das vierte Heimspiel der laufenden Saison. Jetzt soll das Team auch auswärts punkten. Trainer Jupp Heynckes tritt derweil auf die Euphoriebremse

AUS MÖNCHENGLADBACHROLAND LEROI

Jupp Heynckes nahm sich viel Zeit, um die aufkommende Euphorie abebben zu lassen. Der kollektive Jubelrausch nach dem vierten Heimsieg hintereinander ging ihm zu weit. „Wir müssen die Situation als Ganzes sehen“, sagte der Trainer von Borussia Mönchengladbach. Er benötigte nicht viele Worte, um alle Enthusiasten, die frühzeitig von feudalen Tabellenplatzierungen träumten, auf den Boden zu holen. Mit einem 3:1-Erfolg über den VfL Wolfsburg konnte sich Gladbach zwar bis auf weiteres in der Bundesliga-Spitzengruppe festsetzen, doch Heynckes erinnerte einfach daran, dass schon nächstes Wochenende wieder eine Auswärtspartie ansteht. „Erst wenn wir das nächste Spiel gewinnen, sind wir einen Schritt weiter“, sagte der Coach und erntete betretene Mienen.

So traumhaft die Borussia im eigenen Stadion auftritt und nahezu Siege am Fließband einfährt, so böse werden die Gladbacher von einem Trauma in der Fremde verfolgt. Alle drei Auswärtsspiele dieser Saison wurden verloren und die Fans mögen sich gar nicht ausrechnen, wo ihr Team mit dem nunmehr besten Saisonstart seit 1987 stünde, wenn es nur etwas zielorientierter laufen würde. Stattdessen werden Statistiken vorgerechnet, nach denen die „Fohlen“ seit dem Wiederaufstieg 2001 nur acht Auswärtspartien gewinnen konnten. Die zwei Gesichter der Borussia irritieren selbst Heynckes, auch wenn er das nicht direkt zugeben mag. „Am besten reden wir nicht mehr drüber, dann gelangt es auch nicht in die Köpfe“, fordert der Coach bis zum Match am nächsten Samstag bei der Berliner Hertha „Verschwiegenheitspflicht“.

Zumindest daheim funktioniert die „Bastion Borussia“, die von biederen Wolfsburgern allerdings nicht großartig geprüft wurde. Zwar gingen die Gäste durch Alexander Madlungs Kopfballtreffer sogar in Führung (16.), doch Peer Kluge (34.) und Oliver Neuville (35.) brauchten nur eine Minute, um die Partie zu drehen. Danach beherzigten die Heynckes-Schützlinge das Konzept ihres Trainers: aus der sicheren Abwehr mit schnellen Tempowechseln Konterangriffe zu starten. Es sieht nicht wirklich spektakulär aus, was Gladbach seinem Publikum bietet. Das Spiel ist kraftaufwändig, taktisch anspruchsvoll und erfolgreich – zumindest im Borussia-Park.

Diesmal sogar mit einer stark ersatzgeschwächten Mannschaft. Auf gleich fünf Positionen musste Heynckes umstellen, nachdem kurzfristig Eugen Polanski und Bo Svensson verletzt ausfielen. Die Youngster Marvin Compper (21) und Tobias Levels (19) durften erstmals in der Startformation ran und fanden sich nach holprigen Beginn gut zurecht. Zudem vertraute Heynckes wieder auf seinen Rekordeinkauf Federico Insua. Vier Millionen Euro kostete der Argentinier. Die Saison verlief für Insua bisang miserabel. Doch am Samstag nahm er jeden Zweikampf an, spielte mit Übersicht und wurde bei seiner Auswechselung vom Publikum gefeiert. „Insua hat sich enorm gesteigert“, sagte Sportdirektor Peter Pander.

Für mehr Aufsehen sorgte allerdings Panders mit Inbrunst getätigte Aussage, „dass wir in Berlin gewinnen werden“. Ein gewisse Portion Trotz war unüberhörbar, denn es wird inzwischen als Normalität angenommen, dass Gladbach daheim überzeugt und auswärts untergeht. Heynckes sieht sich daher umso mehr gefordert, derlei Automatismen, die sein Team jenseits des Niederrheins trotz nahezu identischer taktischer Marschroute hemmen, abzuschalten. Deshalb erzählt der Coach gerne aus seinem reichen Erfahrungsschatz. „Es war auf allen meinen Trainerstationen so, dass nicht jedes Heimspiel gewonnen und jedes Auswärtsspiele verloren wurde“, sagte Heynckes. Wirklich beruhigen mochte das nicht.

Vermutlich wäre es ratsam, künftig David Degen, der nach Verletzungspause erstmals für Gladbach auflief und mit dem 3:1-Endstand direkt ein Tor erzielte, wieder einzusetzen. Völlig neu aus der Schweiz in die Bundesliga gewechselt, glaubt Degen, dass er „die Auswärtsschwäche nicht kenne“, weil er ja noch nie auswärts für Borussia gespielt habe. Wenigstens einer, der bereit scheint, aus Gladbachs Trauma einen Traum zu machen.